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Entwicklungsländer: Hilft viel Geld wirklich?

Seit der Flüchtlingswelle sind die Chancen groß, dass die Entwicklungspolitik tatsächlich zur Chefsache wird, und einige sprechen gar von einem Marshallplan. Warum aber stellt niemand die Frage, warum wir nach einer  Summe von annähernd einer Billion US-$, die seit den sechziger Jahren allein Afrika zugute gekommen ist, vor einer Situation stehen, in der ein Marshallplan gefordert wird? Hilft viel Geld wirklich viel? 

Tatsache ist, dass Insider hinter vorgehaltener Hand zu erkennen geben, dass es bereits heute nicht genügend Projekte für das vorhandene Geld gibt. Projekte,  auch wenn sie noch so gut gemeint sind, benötigen eine sensible Planung und Vorbereitung, und das braucht Zeit und kann nicht mit der Gießkanne erfolgen, vor allem, wenn in einem Land eine korrupte Verwaltung herrscht,

Experten werden aber darauf  hinweisen, dass sich in 55 Jahren Entwicklungszusammenarbeit die Zahl der Analphabeten und die Kindersterblichkeit reduziert, die Lebenserwartung erhöht und sich Wasser- und Stromversorgung verbessert haben. Das ist auch tatsächlich so und es wäre unfair, das nicht auch den Entwicklungsbemühungen der reichen Staaten zuzurechnen. Aber vielleicht wären diese Fortschritte auch erzielt worden, wenn es Entwicklungszusammenarbeit nicht gegeben hätte, weil die Regierungen dieser Länder dann gezwungen gewesen wären, selbst mehr Geld in die Entwicklung zu stecken und weniger Waffen zu kaufen? Der Rückzug des Westens aus Somalia hat allerdings gezeigt, dass auch das Gegenteil passieren kann, deshalb sollten wir vorsichtig mit vorschnellen Folgerungen sein. Wir sollten auch zugestehen, dass Entwicklungszusammenarbeit zur Stabilisierung vieler Regionen beigetragen hat. Rimbert Hemmer, einer der Altväter der deutschen Entwicklungswissenschaften, spricht von einem Mikro-Makro-Paradoxon: Trotz vieler guter und erfolgreicher Projekte im Mikrobereich ist es nicht gelungen, diese Länder insgesamt aus der Armut herauszuführen. Anders ausgedrückt: Entwicklungshilfe beschränkt sich auf Reparaturen an der Schiffsmaschine, ohne zu fragen, wohin der Kapitän das Schiff steuert. 

Während kein Fall bekannt ist, wo viel Geld viel geholfen hätte, gibt es stattdessen eine Reihe von Negativbeispielen in rohstoffreichen Ländern wie Nigeria, Kongo oder auch Angola, deren Einnahmen aus Rohstoffexporten das zig-fache der Entwicklungsgelder betragen und deren Entwicklung dennoch alles andere als positiv verlaufen ist. Beispielsweise betrugen im Jahr 2014 Nigerias Öleinnahmen 85,6 Milliarden US-$, die Migrantenüberweisungen etwa 20 Milliarden, dem standen  Entwicklungsgelder in Höhe von US-$ 2,5 Mrd. gegenüber (Welbankdatenbank). Obwohl Nigeria damit eines der Länder ist, die –warum auch immer- am meisten Entwicklungsgelder erhalten, sind diese Mittel im Vergleich zu den Einnahmen aus dem Ölgeschäft unbedeutend. Trotzdem ist Nigeria noch ein armes Land und in dieser Situation befinden sich viele rohstoffreiche Entwicklungsländer. Auch in den Kongo fließen enorm hohe Summen für Rohstoffexporte, die allen möglichen Gruppierungen, aber nicht den Menschen im Land zugute kommen. Nimmt man das ölreiche Angola noch hinzu, dann lebt in diesen rohstoffreichen drei Ländern fast ein Drittel der Einwohner Afrikas südlich der Sahara. Erdöl, Gas, Gold, Kupfer, Kobalt, Coltan sind Rohstoffe, mit denen aber auch viele andere Länder Afrikas reich gesegnet sind

Einige Experten (z.B. Easterly) sehen in Afrika südlich der Sahara sogar einen negativen Zusammenhang zwischen Entwicklungsgeldern und Wachstum: Hier kommt es allerdings darauf an, welchen Zeitraum man zugrunde legt. Insgesamt, also etwa vom Durchschnitt der sechziger und siebziger Jahre verglichen mit heutigen Daten  kommt man aber zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich pro Kopf die Hilfsgelder in Relation zu den Einkommen etwa verzwölffacht haben, während das Wirtschaftswachstum eher nach unten ging. 

Man muss aber auch sehen, das die Entwicklungstransfers keineswegs so bedeutend sind, wie oft angenommen wird: In Afrika liegt nach den Zahlen der Weltbank von 1960 bis heute der langjährige Anteil dieser Zuwendungen nur bei 2% des kaufkraftgewichteten Volkseinkommens, trotz einer Summe von über US-$ 900 Mrd. seit den sechziger Jahren. Pro Kopf gerechnet, liegen die Transferzahlungen für die neuen Bundesländer in 20 Aufbaujahren bei  dem annähernd 100 fachen des afrikanischen Niveaus, auch die die Hilfen für Griechenland bewegen sich in ähnlichen Dimensionen: Eine Erhöhung der Transfers um etwa das 100-fache, um das Niveau der innereuropäischen Transfers zu erreichen, können sich vermutlich noch nicht einmal die Befürworter von mehr Hilfen in ihren kühnsten Träumen vorstellen.

Angesichts dieser Relationen fragt man sich, ob unser Anspruch, die Welt zu retten, nicht ein paar Nummern zu groß für uns ist? Kann man mit unseren Entwicklungsgeldern, selbst wenn man sie verdoppeln oder verdreifachen würde, tatsächlich weltweit den Klimawandel verhindern, erneuerbare Energien für jedes Dorf bereitstellen, Wohlstand mehren, Frauen emanzipieren, Kinderarbeit verhindern, Handwerk fördern und für Milliarden Menschen all das erreichen, was gut, schön und erstrebenswert ist? Sollten wir hier nicht etwas bescheidener  oder besser realistischer sein?

Dabei sollte man sich an den Satz des kenianischen Ökonomen James Shikwati erinnern: „Wer Afrika wirklich helfen will, darf das nicht mit Geld tun.“ Acemoglu/Robinson (Warum Nationen scheitern) kommen zu dem sicherlich nicht verwunderlichen Ergebnis, dass Entwicklung nur mit inklusiven Strukturen und nicht in einem Umfeld von Korruption und Vetternwirtschaft möglich ist. Die Forderung nach inklusiven Strukturen bezieht nicht nur auf die oberste Politikebene, sondern vor allem auf Rechtssicherheit, Eigentum, freie Märkte ohne vom Wettbewerb abgeschirmte Monopole der Oberschichten und alles in allem vor allem darauf, dass den arbeitenden wie auch unternehmerisch tätigen Menschen auch die Früchte ihrer Anstrengungen zugutekommen. Wer die Machtverhältnisse besonders Afrikas kennt, der weiß, dass so etwas keine Aufgabe ist, die so einfach mit dem Motto „Fluchtursachen beseitigen“ schnell zu erledigen ist. Leider wird Entwicklungspolitik aber vom Westen wie auch neuerdings von China als Instrument  benutzt, politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben und weniger, um der Bevölkerung in diesen Ländern wirklich nachhaltig zu helfen. So lange das so ist und so lange immer wieder Ausreden gefunden werden, warum man korrupte Regimes unterstützen soll, vom Klimawandel bis hin zum Einfluss des IS, werden die Entwicklungsbemühungen allenfalls im Mikrobereich Erfolge aufzeigen. Diese Erfolge werden aber allein schon durch das immense Bevölkerungswachstum aufgezehrt werden, das im übrigen eher eine Fluchtursache darstellt als der Klimawandel. Angesichts der relativ geringen Bedeutung der Entwicklungsgelder und den hohen Geldströmen für Rohstoffe und sogar aus Migrantenüberweisungen ist es aber wenig hilfreich, nur mit dem Finger auf den Westen zu zeigen. Hier hat der französische Präsident Macron einen sehr wertvollen Anfang gemacht, indem er die Verantwortlichkeit dort sucht, wo sie primär hingehört: Zu den Regierungen und den Eliten der Entwicklungsländer.